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Klinische Reifung: Synoptische Behandlungskonzepte und Indikationsstellung

Der Übergang in die vertragszahnärztliche Versorgung konfrontiert den Berufseinsteiger mit einer harten Realität: Die „ideale“ universitäre Therapie ist unter den Bedingungen des gesetzlichen Krankenversicherungsrechts (SGB V) und der Praxisökonomie nicht immer abbildbar. Die Assistenzzeit dient dem Erwerb der Kompetenz, medizinische Notwendigkeit, patientenindividuelle Prognose und wirtschaftliche Machbarkeit in ein synoptisches Behandlungskonzept zu integrieren.

3.1 Das synoptische Stufenkonzept

In der Praxis ist die Einhaltung einer strikten Behandlungschronologie nicht nur medizinisch, sondern auch ökonomisch essenziell. Abweichungen (z.B. definitive Prothetik auf unsicherem Parodont) führen zu Regressen (Mängelrügen nach § 136a SGB V) und unbezahlten Nachbesserungen.

Die therapeutische Kaskade:

PhaseMaßnahmeÖkonomische Relevanz
I. AkutphaseSchmerzbeseitigung, Abszess-Eröffnung.Geringer Umsatz, aber hohe Patientenbindung.
II. HygienisierungPZR/MH-Instruktion, PA-Therapie, Exkavation, Extraktion nicht erhaltungswürdiger Zähne.Filterfunktion: Trennung von complianten und non-complianten Patienten. Wer hier scheitert, ist für teure Prothetik ungeeignet (Risikominimierung).
III. Re-EvaluationBewertung der Pfeilerwertigkeit nach Vorbehandlung.Entscheidung: Zahnerhalt vs. Implantat.
IV. FunktionSchienentherapie, Bisshebung.Oft Privatleistung (FAL/FTL). Absicherung gegen Keramikfrakturen (Gewährleistungsschutz).
V. RekonstruktionDefinitive Prothetik.Hauptumsatzträger. Nur auf stabilem Fundament (I-IV) wirtschaftlich risikoarm.

3.2 Strategische Pfeilerbewertung: Medizin vs. Ökonomie

Der häufigste Konflikt in der Assistenzzeit ist die Entscheidung „Erhalt vs. Extraktion“. Während die Universität den Zahnerhalt um jeden Preis lehrt, erfordert die Praxis eine prognoseorientierte Entscheidung. Ein Zahn, der nach 2 Jahren unter einer neuen Teleskopprothese frakturiert, verursacht einen enormen wirtschaftlichen und vertrauensbasierten Schaden.

Entscheidungsmatrix: Zahnerhalt in der Praxisrealität

Befund am PfeilerzahnUniversitäres Vorgehen („Maximaltherapie“)Praxisrealität & Ökonomie (SGB V / Prognose)
Endodontie
Komplexe Anatomie, Revision nötig
Mikroskopgestützte Revision, DVT, elektrometrische Länge. Zeitaufwand: 2–3 Std.BEMA-Grenzen: Die BEMA-Endo deckt ca. 30–45 Min. ab. Ist der Zahn strategisch unverzichtbar?
Ja: Privatleistung (Zuzahlung) vereinbaren.
Nein: Extraktion erwägen, wenn Implantat/Brücke prognostisch sicherer (und wirtschaftlicher) ist.
Parodontologie
Furkation Grad III, Lockerung II
Offene Kürettage, gesteuerte Geweberegeneration (GTR), Tunnelierung.Als Pfeiler für ZE kontraindiziert. Das Risiko des Pfeilerverlusts gefährdet die gesamte Suprakonstruktion (Gewährleistungsrisiko 2 Jahre!). $\rightarrow$ Extraktion.
Zerstörungsgrad
Kein Ferrule-Effekt (< 2mm)
Chirurgische Kronenverlängerung, Stiftaufbau, Extrusion.Biomechanisch hochriskant. Oft „Fass ohne Boden“. Implantat ist hier oft die wirtschaftlichere Langzeitlösung für den Patienten.

3.3 Wirtschaftlichkeit nach § 12 SGB V

Der Vorbereitungsassistent muss lernen, im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebotes zu handeln. Leistungen müssen „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Kalkulationsbeispiel: Die „teure“ Füllung

Ein junger Assistent legt eine mehrflächige Kompositfüllung im Seitenzahnbereich.

  • Szenario A (Uni-Stil): Kofferdam, Mehrschichttechnik, komplexe Politur. Zeit: 60 Min. Abrechnung: BEMA F2 (ca. 50 € Honorar).
    • Ergebnis: Verlustgeschäft. Bei einem Praxisstundensatz von ca. 250–300 € deckt das Honorar nicht einmal die Raumkosten.
  • Szenario B (Praxis-Stil Regelversorgung): Einfachere Technik, Zement/einfaches Komposit (gemäß BEMA). Zeit: 20 Min.
    • Ergebnis: Kostendeckend, aber ästhetisch/funktionell oft limitiert.
  • Szenario C (Praxis-Stil Mehrkosten): Hochwertige Füllung wie A, aber mit Mehrkostenvereinbarung (§ 28 Abs. 2 SGB V). Der Patient zahlt den Mehraufwand privat.
    • Ergebnis: Wirtschaftlich attraktiv und medizinisch hochwertig.

Lernziel: Hochwertige Zahnmedizin ist unter reinen BEMA-Bedingungen oft ein Zuschussgeschäft. Der Assistent muss lernen, Patienten über hochwertige Alternativen (Zuzahlung) aufzuklären, ohne den Kassenstandard schlechtzureden (Aufklärungskompetenz).

3.4 Prozess-Standardisierung und Zeitmanagement

Um in der Assistenzzeit wirtschaftlich zu arbeiten, ist nicht Hektik („schneller bohren“) erforderlich, sondern die Elimination von Leerlaufzeiten durch Standardisierung.

Hebel für Effizienz:

  1. Standardisierte Trays:Das Instrumentarium für Standardeingriffe (Präparation, Endo, Füllung) muss immer identisch liegen. Das spart Rüstzeiten.
  2. Blockterminierung:Statt 5 kleine Termine à 30 Minuten (5x Anästhesie, 5x Begrüßung, 5x Zimmeraufbereitung) lieber 1 Termin à 2,5 Stunden (Quadranten-Sanierung). Dies steigert den effektiven Stundensatz massiv.
  3. Delegation:Alles, was delegierbar ist, muss delegiert werden (Röntgen, Abformung Gegenkiefer, Provisorien, PZR, Fissurenversiegelung). Der Zahnarzt darf nur das tun, was nur er tun darf.

Fazit

Die klinische Reifung in der Assistenzzeit bedeutet, die romantisierte Vorstellung der „Machbarkeit“ durch die professionelle Bewertung der „Prognose“ zu ersetzen. Wer lernt, Fälle synoptisch zu planen, Risikopfeiler konsequent zu entfernen und Leistungen adäquat (BEMA vs. GOZ) zu kalkulieren, sichert nicht nur den Therapieerfolg, sondern auch seine eigene wirtschaftliche Zukunft.

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