9.2.2 Dentalindustrie
Ziel & Einführung: Eine Karriere in der Dentalindustrie bedeutet, für Unternehmen zu arbeiten, die Produkte und Dienstleistungen für die Zahnmedizin entwickeln, herstellen oder vertreiben. Dies umfasst ein breites Spektrum von Materialien über Geräte und Software bis hin zu Implantatsystemen und pharmazeutischen Produkten. Für Zahnärztinnen und Zahnärzte bietet die Industrie eine Alternative zur reinen Klinik oder Praxis, bei der zahnmedizinisches Fachwissen mit technischen, wissenschaftlichen, kommunikativen oder betriebswirtschaftlichen Aufgaben kombiniert wird.
Typische Arbeitgeber: Arten von Dentalunternehmen
- Materialhersteller: Entwickeln und produzieren Füllungsmaterialien, Keramiken, Kunststoffe, Abformmaterialien, Zemente, Adhäsive etc. (Beispiele: 3M, Dentsply Sirona, Ivoclar Vivadent, GC, Kuraray, VOCO, Kulzer).
- Geräte- & Equipmenthersteller: Produzieren Behandlungseinheiten, Röntgengeräte (inkl. DVT), Laser, CAD/CAM-Systeme (Scanner, Fräsen), Sterilisationsgeräte, Instrumente etc. (Beispiele: Dentsply Sirona, KaVo Kerr, Planmeca, Morita, NSK, MELAG).
- Implantathersteller: Spezialisiert auf dentale Implantatsysteme, chirurgische Instrumente, Bohrschablonen, Biomaterialien etc. (Beispiele: Straumann Group [inkl. Neodent, Medentika], Nobel Biocare [Envista], Dentsply Sirona, Zimmer Biomet Dental, Camlog Biotechnologies).
- Pharmaunternehmen (mit Dentalsparte): Fokus auf Mundpflegeprodukte, Lokalanästhetika, Medikamente für orale Erkrankungen, Fluoridpräparate. (Beispiele: GSK [Sensodyne, Parodontax], Colgate-Palmolive, Procter & Gamble [Oral-B] – oft stark im Consumer-Bereich; auch Firmen mit Fokus auf Anästhetika).
- Software-Unternehmen: Entwickeln Praxisverwaltungssoftware (PVS), bildgebende Software (Röntgen, Scan), CAD-Software für Zahntechnik und Implantatplanung, KI-basierte Diagnostiktools. (Beispiele: Dampsoft, Charly by Solutio [Solutio GmbH], Evident, Z1 [CompuGroup Medical], DS-Win [Dampsoft], Exocad [Align Technology], 3Shape).
- Dentalhandel (Depots): Größere Handelsunternehmen beschäftigen vereinzelt Zahnärzte für Schulungen, Produktberatung oder spezielle Managementaufgaben, dies ist aber seltener als bei Herstellern. (Beispiele: Henry Schein, Pluradent, NWD Gruppe).
Typische Rollen für Zahnärzte in der Industrie
- Forschung & Entwicklung (F&E / R&D):
- Mitarbeit an der Entwicklung neuer Produkte oder der Verbesserung bestehender.
- Definition von Anforderungen aus Anwendersicht (klinische Relevanz, Handling).
- Planung und Begleitung von präklinischen Tests (Labor) und klinischen Anwendungsstudien.
- Interpretation wissenschaftlicher Daten, Literaturrecherche zu neuen Technologien/Materialien.
- Erfordert oft wissenschaftliches Interesse (Dr. med. dent. von Vorteil) und ggf. technisches/materialwissenschaftliches Verständnis.
- Produktmanagement:
- Strategische Verantwortung für ein Produkt oder eine Produktlinie über den gesamten Lebenszyklus (von der Idee bis zur Marktrücknahme).
- Durchführung von Markt- und Wettbewerbsanalysen, Identifikation von Kundenbedürfnissen.
- Definition von Produktanforderungen und Erstellung von Lastenheften für die Entwicklung.
- Planung von Markteinführungen (Launches) in Zusammenarbeit mit Marketing und Vertrieb.
- Preisgestaltung, Portfolio-Management, Beobachtung von Markttrends.
- Schnittstelle zwischen F&E, Marketing, Vertrieb, Produktion, Regulatory Affairs.
- Erfordert neben zahnmedizinischem Wissen auch betriebswirtschaftliches Verständnis, strategisches Denken und Marktkenntnis.
- Klinische Angelegenheiten / Clinical Affairs / Medical Affairs:
- Planung, Organisation, Durchführung und Auswertung klinischer Studien (Prüfpläne, Studienprotokolle, CRFs) zur Produktvalidierung, Leistungsbewertung und für die Zulassung (gemäß Regularien wie MDR, GCP).
- Erstellung klinischer Bewertungen und anderer relevanter Dokumente für die technische Dokumentation und Zulassungsdossiers.
- Kommunikation mit Ethikkommissionen, Prüfärzten und Behörden.
- Aufbau und Pflege von Kontakten zu klinischen Prüfzentren und Meinungsbildnern (Key Opinion Leaders – KOLs) für Studienzwecke.
- Beobachtung und Bewertung klinischer Daten nach Markteinführung (Post-Market Clinical Follow-up – PMCF).
- Erfordert Wissen über Studienmethodik, Statistik, regulatorische Anforderungen (MDR, ISO 14155 etc.) und medizinisches Schreiben.
- Medical/Scientific Marketing & Medical Education:
- Entwicklung und Überprüfung wissenschaftlich korrekter Marketingmaterialien (Broschüren, Anzeigen, Webseiteninhalte, Präsentationen).
- Konzeption, Organisation und Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen, Workshops, Webinaren und Hands-on-Kursen für Zahnärzte, ZFA und Zahntechniker.
- Wissenschaftliche Schulung und Unterstützung des Vertriebsteams.
- Vortragstätigkeit auf Kongressen, Messen und Kundenveranstaltungen.
- Aufbau und Management von Beziehungen zu Key Opinion Leaders (KOLs) für Vorträge, Publikationen, Advisory Boards.
- Erstellung von Fachartikeln oder White Papers.
- Erfordert exzellente Kommunikations-, Präsentations- und didaktische Fähigkeiten sowie die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen.
- Regulatory Affairs:
- Sicherstellung, dass Produkte die geltenden gesetzlichen und normativen Anforderungen für die Marktzulassung und das Inverkehrbringen erfüllen (insbesondere Medical Device Regulation – MDR in Europa, FDA in den USA, aber auch länderspezifische Regeln).
- Erstellung und Einreichung von Zulassungsunterlagen bei Behörden und Benannten Stellen.
- Pflege der technischen Dokumentation während des Produktlebenszyklus.
- Überwachung von Änderungen in Gesetzen und Normen und deren Umsetzung im Unternehmen.
- Erfordert tiefgehendes regulatorisches Wissen und Detailgenauigkeit.
- Qualitätsmanagement:
- Aufbau, Implementierung und Aufrechterhaltung von Qualitätsmanagementsystemen nach relevanten Normen (v.a. ISO 13485 für Medizinprodukte).
- Planung und Durchführung interner Audits, Begleitung externer Audits (Benannte Stelle, Behörden).
- Management von Abweichungen, Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen (CAPA).
- Erfordert Wissen über QM-Systeme, Normen und Prozesse.
- (Spezialisierter) Vertrieb / Klinische Anwendungsspezialisten:
- Unterstützung des Vertriebsaußendienstes bei technisch oder klinisch anspruchsvollen Produkten durch hohe Fachexpertise.
- Durchführung von Produktdemonstrationen und Anwenderschulungen bei Kunden vor Ort.
- Technische oder klinische Unterstützung auf Messen und Kongressen.
- Fokus auf Beratung und Problemlösung, weniger auf reinen Verkauf.
Benötigte Fähigkeiten & Qualifikationen
- Basis: Approbation als Zahnarzt/Zahnärztin.
- Klinische Erfahrung: Mindestens abgeschlossene Assistenzzeit ist oft sehr vorteilhaft oder Voraussetzung, um die Bedürfnisse der Anwender zu verstehen und glaubwürdig kommunizieren zu können.
- Je nach Rolle zusätzlich erforderlich/nützlich:
- Promotion (Dr. med. dent.) – v.a. für F&E, Clinical Affairs, Medical Education.
- Betriebswirtschaftliche Kenntnisse (ggf. Zusatzstudium wie MBA) – v.a. für Produktmanagement, Marketing, höhere Managementpositionen.
- Kommunikations-, Präsentations-, Didaktik-Fähigkeiten – unerlässlich für Medical Education, Marketing, KOL Management, Vertriebsunterstützung.
- Wissen über klinische Studien & Statistik – v.a. für Clinical Affairs.
- Regulatorisches Wissen (MDR, FDA etc.) – v.a. für Regulatory/Clinical Affairs, QM. Fortbildungen hierzu sind oft notwendig.
- Technische Affinität – v.a. bei Geräte-/Softwareherstellern.
- Sehr gute Englischkenntnisse – die Industrie arbeitet global. Weitere Fremdsprachen können von Vorteil sein.
- Projektmanagement-Fähigkeiten.
- Teamfähigkeit und interdisziplinäres Arbeiten.
- Reisebereitschaft (oft hoch in Marketing, Medical Education, KOL Management, spezialisiertem Vertrieb).
Wege in die Industrie
- Direkteinstieg nach klinischer Tätigkeit: Bewerbung auf ausgeschriebene Stellen nach einigen Jahren Praxiserfahrung. Netzwerk und Zusatzqualifikationen helfen.
- Nach Promotion/Universitätskarriere: Wechsel aus der universitären Forschung, oft wenn bereits Industriekontakte oder Kooperationsprojekte bestanden.
- Praktika / Werkstudententätigkeit: Manche Unternehmen bieten dies an, eine gute Möglichkeit zum Reinschnuppern und Kontakte knüpfen, oft schon während des Studiums.
- Trainee-Programme: Einige größere Firmen haben spezielle strukturierte Einstiegsprogramme für Hochschulabsolventen, teilweise auch für Mediziner/Zahnmediziner.
- Netzwerken: Kontakte knüpfen auf Messen (insbesondere IDS Köln!), Kongressen, Fortbildungen von Industrieanbietern oder über Alumni-Netzwerke und Plattformen wie LinkedIn.
- Initiativbewerbung: Bei interessanten Unternehmen direkt anfragen und das eigene Profil vorstellen.
Finanzielle Aspekte
- Gehaltsstruktur: Basiert i.d.R. auf individueller Verhandlung und internen Gehaltsbändern, nicht auf öffentlichen Tarifen.
- Vergütungsbestandteile: Üblich ist ein Paket aus Fixgehalt + variablen Anteilen (Boni, Tantiemen, ggf. Aktienoptionen) + Zusatzleistungen (Firmenwagen, betriebl. Altersvorsorge, Versicherungen etc.).
- Einkommenserwartungen (Relative Einordnung):
- Berufseinsteiger (nach Assistenzzeit): Oft konkurrenzfähig mit oder leicht über Gehältern angestellter Zahnärzte in Praxis/Klinik.
- Mit Berufserfahrung (Industrie): Deutliche Steigerungen möglich, kann Einkommen angestellter Zahnärzte übertreffen und in den Bereich junger Praxisinhaber kommen.
- Führungspositionen: Hohe sechsstellige Jahresgehälter möglich, konkurrenzfähig mit erfolgreichen Praxisinhabern.
- Vertriebsnahe Rollen: Hohes Potenzial durch variable Anteile, aber auch höherer Druck.
- Einflussfaktoren: Unternehmensgröße, Branche, Standort, individuelle Qualifikation & Erfahrung, Rolle & Verantwortung, Verhandlungsgeschick.
- Vergleich zur Praxis: Bietet oft hohe finanzielle Sicherheit und Planbarkeit bei gutem Verdienstpotenzial. Das absolute Spitzeneinkommen eines Top-Praxisinhabers wird vielleicht nicht immer erreicht, aber das Risiko ist geringer. Benefits sind wichtiger Teil des Gesamtpakets.
Ressourcen für Gehaltsinformationen:
- Gehaltsvergleichsportale: Glassdoor, Kununu, StepStone Gehaltsreport (mit Vorsicht für Nischenrollen).
- Netzwerken: Austausch mit Brancheninsidern (LinkedIn, Kongresse).
- Personalberatungen im Healthcare-Bereich.
Pro und Contra (inkl. finanzieller Aspekte)
Vorteile: Geregelte Arbeitszeiten, attraktives Gehalt & Benefits, Arbeit mit Innovationen, internationale Kontakte, klare Karrierepfade möglich, weniger körperliche Belastung, hohe Professionalität, Möglichkeit zur fachlichen Spezialisierung außerhalb der Klinik. Nachteile: Kein/wenig Patientenkontakt, ggf. „Entfernung“ vom Kernberuf, Konzernstrukturen/Bürokratie, Reisebereitschaft oft nötig, Erfolg an Geschäftszahlen gemessen, Abhängigkeit von Unternehmensentwicklung.
Ressourcen für die Jobsuche
- Karriereseiten großer Dentalunternehmen (Links wie zuvor bei Straumann, Dentsply Sirona, Ivoclar, KaVo, 3M, GC, Kulzer, Exocad, Dampsoft etc.).
- Allgemeine Jobportale (StepStone, Indeed, LinkedIn etc. mit Keywords wie „Medical Advisor Dental“, „Clinical Affairs Dental“, „Product Manager Dental“).
- Industrieverbände (VDDI: vddi.de, SPECTARIS: spectaris.de – für Brancheninfos).
- Networking (IDS Köln: ids-cologne.de!).
Tipp: Analysieren Sie, welche Industrie-Rolle am besten zu Ihren Stärken und Interessen passt. Betonen Sie in Ihrer Bewerbung nicht nur Ihr zahnmedizinisches Wissen, sondern auch relevante Zusatzfähigkeiten.