Herausforderung & Relevanz: Schwellungen, Schmerzen und Fisteln im Bereich eines Zahnes können sowohl durch eine Infektion des Zahnhalteapparates (Parodont) als auch durch eine Infektion des Zahninneren (Endodont) verursacht werden. Die Symptome können sich stark ähneln, die zugrunde liegende Ursache und somit die notwendige Therapie (PA-Therapie vs. Wurzelkanalbehandlung) sind jedoch fundamental verschieden. Eine Fehldiagnose führt unweigerlich zum Therapieversagen. Zudem existieren kombinierte Läsionen.
Häufige Differenzialdiagnosen: Parodontalabszess, Akuter apikaler Abszess (endodontisch), Kombinierte endo-parodontale Läsion, Vertikale Wurzelfraktur (kann beides imitieren).
Systematischer Vergleich:
Merkmal | Parodontalabszess | Akuter apikaler Abszess (Endodontisch) | Kombinierte Endo-Paro-Läsion | Vertikale Wurzelfraktur |
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Ätiologie/Ursache | Akute Infektion in einer tiefen Zahnfleischtasche (oft bei vorbestehender Parodontitis), z.B. durch Konkrementblockade, Fremdkörper, veränderte Bakterienflora. | Ausbreitung einer Infektion aus dem nekrotischen Wurzelkanal in den periapikalen Knochen. | Entweder eine endodontische Läsion, die sekundär in eine parodontale Tasche durchbricht (oder umgekehrt) ODER unabhängiges zeitgleiches Auftreten beider Probleme. | Frakturlinie entlang der Zahnwurzel, die eine Kommunikation zwischen Wurzelkanal/Dentin und Parodontalspalt schafft. Oft nach WKB/Stiftversorgung an wurzelbehandelten Zähnen. |
Anamnese/ Symptome | Oft bei Patienten mit bekannter Parodontitis. Eher dumpfer, lokalisierter Schmerz, Druckgefühl. Zahn kann sich „locker“ anfühlen. Relativ schnelle Entwicklung der Schwellung. Allgemeinsymptome selten. | Starke, oft pochende Schmerzen, gut lokalisierbar. Starke Aufbiss-/Berührungsempfindlichkeit. Zahn fühlt sich „zu hoch“ an. Ggf. Allgemeinsymptome (Fieber, Malaise). Siehe Abschnitt 2. | Anamnese kann Merkmale von beidem aufweisen (z.B. frühere PA-Behandlung UND Symptome einer Pulpitis/Nekrose). | Oft unklare, diffuse Schmerzen, v.a. beim Zubeißen („Cracked-Tooth“-Symptomatik). Kann aber auch lange asymptomatisch sein oder einen Abszess/Fistel imitieren. Oft an wurzelkanalbehandelten Zähnen. |
Klinischer Befund: Vitalität | Zahn ist typischerweise VITAL! (Es sei denn, es liegt zufällig gleichzeitig eine unabhängige Nekrose vor). | Zahn ist NEKROTISCH! | Zahn ist NEKROTISCH! | Zahn kann VITAL oder NEKROTISCH sein (je nachdem, ob Fraktur die Pulpa direkt schädigt oder Folge einer Endo-Komplikation ist). |
Klinischer Befund: Sondierung | Nachweis einer tiefen, oft eitrig sezernierenden Zahnfleischtasche, die bis in den Bereich der Schwellung reicht. Andere Stellen am Zahn können normale Sondierungstiefen haben. | Parodontale Sondierungstiefen meist physiologisch (normal). Ausnahme: Wenn sich der Abszess über den Sulkus drainiert oder ein Fistelgang bis zum Sulkus reicht („Pseudo-Tasche“). | Nachweis einer tiefen Zahnfleischtasche UND Zeichen der Pulpanekrose/apikalen Parodontitis. | Oft eine charakteristische, isolierte, schmale, tiefe Tasche entlang der Frakturlinie, während der Rest des Parodonts unauffällig sein kann. |
Klinischer Befund: Schwellung/Fistel | Schwellung meist auf Höhe des mittleren oder koronalen Wurzeldrittels, eher lateral an der Gingiva. Eiteraustritt oft direkt aus dem Tascheneingang. | Schwellung meist im Bereich der Wurzelspitze (apikal), vestibulär oder palatinal/lingual. Fistelöffnung typischerweise apikal der mukogingivalen Grenze. | Kann Merkmale von beidem zeigen. Fistelursprung kann variabel sein. | Kann eine Schwellung oder Fistel verursachen, die einen parodontalen oder apikalen Abszess imitiert. Fistel kann lateral liegen. |
Diagnostische Tests | Vitalitätstest (+) entscheidend! Parodontale Sondierung (Taschentiefe!) entscheidend! Röntgen: Zeigt oft vertikalen Knochenabbau, aber keine primär apikale Läsion. | Vitalitätstest (-) entscheidend! Perkussion/Palpation apikal (+). Röntgen: Zeigt oft apikale Aufhellung. Sondierung meist normal. | Kombination aus Vitalitätstest (-) UND tiefer Tasche. Röntgen: Zeigt oft sowohl apikale Aufhellung als auch parodontalen Knochenabbau, die kommunizieren können (J-förmige Läsion). | Sondierung (isolierte tiefe Tasche!). Transillumination (Licht kann an Frakturlinie gebrochen werden). Anfärben (Methylenblau). Probefreilegung (chirurgisch) oft nötig. CBCT/DVT kann Fraktur manchmal direkt darstellen (aber nicht immer!). Röntgen oft unauffällig oder unspezifisch. |
Therapieansatz (typisch) | Drainage des Abszesses über die Tasche, Kürettage der Tasche, Spülung, ggf. systemische Antibiose (selten nötig). Anschließend systematische PA-Therapie. Zahnvitalität erhalten! | Wurzelkanalbehandlung des nekrotischen Zahnes (Drainage initial über Trepanation). Ggf. Inzision bei Schwellung. | Meist kombinierte Therapie erforderlich: Zuerst Wurzelkanalbehandlung, dann (nach Abheilung/Beurteilung) PA-Therapie. Prognose oft fraglich. | Meist Extraktion des Zahnes oder des betroffenen Wurzelfragments (Hemisektion/Wurzelamputation bei Molaren selten möglich/sinnvoll). Prognose sehr schlecht. |
Wichtige Hinweise & Fallstricke:
- Der Vitalitätstest ist oft der wichtigste erste Schritt zur Differenzierung! Ein vitaler Zahn schließt eine primär endodontische Ursache (apikaler Abszess) meist aus.
- Die parodontale Sondierung ist entscheidend, um das Vorhandensein und die Morphologie von Taschen zu beurteilen.
- Fistelgang-Sondierung: Wenn eine Fistel vorhanden ist, führen Sie einen Guttaperchastift vorsichtig ein, bis ein Widerstand spürbar ist, und fertigen Sie dann eine Röntgenaufnahme an. Dies zeigt den Ursprung der Fistel (apikal vs. lateral/parodontal).
- Eine tiefe Tasche an einem nekrotischen Zahn muss nicht immer eine echte kombinierte Läsion sein. Manchmal drainiert sich eine rein endodontische Läsion durch den Parodontalspalt und imitiert eine Tasche („Pseudo-Tasche“). Die PA-Sondierungswerte normalisieren sich hier oft nach erfolgreicher Wurzelkanalbehandlung.
- Vertikale Wurzelfrakturen sind notorisch schwer zu diagnostizieren. Bei unklaren Beschwerden, v.a. an wurzelbehandelten Zähnen mit isolierter tiefer Tasche, sollte immer daran gedacht werden. CBCT kann hilfreich sein, ist aber nicht immer beweisend.
Mögliche Bildquellen: Klinische Fotos (laterale vs. apikale Schwellung, Fistelöffnung, Eiteraustritt aus Tasche), periapikale Röntgenbilder (apikale Aufhellung vs. vertikaler Knochenabbau, J-förmige Läsion bei kombinierter Pathologie, Guttaperchastift in Fistelgang), CBCT-Aufnahmen (Darstellung von Knochendefekten, evtl. Wurzelfraktur), Diagramme zur Pathogenese der verschiedenen Läsionstypen.
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