Kraniomandibuläre Dysfunktionen (CMD) sind ein Sammelbegriff für eine Reihe von Beschwerden, die die Kaumuskulatur, die Kiefergelenke und assoziierte Strukturen betreffen können. Symptome wie Gesichtsschmerzen, Kiefergelenkknacken oder eingeschränkte Mundöffnung sind weit verbreitet, aber nicht immer behandlungsbedürftig. Leitlinien helfen, eine strukturierte Diagnostik durchzuführen und primär konservative, reversible Therapieansätze zu wählen. Zuständige Fachgesellschaft ist u.a. die Deutsche Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT).
Denken Sie daran: Für Details und aktuelle Versionen immer das AWMF-Register (www.awmf.org) prüfen!
A. Diagnostik von CMD – Systematik ist entscheidend (DC/TMD)
Kernaussagen:
- Anamnese als Basis: Eine detaillierte Anamnese ist der erste und wichtigste Schritt. Fragen Sie gezielt nach:
- Schmerzen: Wo genau? Seit wann? Wie oft? Wie stark (Skala)? Charakter (dumpf, ziehend, stechend, brennend)? Was löst aus / verstärkt / lindert (Kauen, Gähnen, Stress, Wärme, Kälte)?
- Gelenkgeräusche: Knacken (wann? schmerzhaft?), Reiben?
- Funktionseinschränkungen: Mundöffnung eingeschränkt/schmerzhaft? Kiefer „hängt“ oder blockiert? Schwierigkeiten beim Kauen?
- Parafunktionen: Zähneknirschen oder -pressen (tagsüber/nachts)? Selbst- oder Fremdbeobachtung? Nägelkauen, Lippenbeißen?
- Begleitsymptome: Kopfschmerzen, Ohrenschmerzen, Tinnitus, Nackenverspannungen?
- Psychosoziale Faktoren: Stresslevel (privat/beruflich)? Schlafqualität? Allgemeine Belastungssituation?
- Klinische Untersuchung (Standard: DC/TMD): Internationale Leitlinien empfehlen dringend die Anwendung der standardisierten Diagnostischen Kriterien für Temporomandibuläre Dysfunktionen (DC/TMD). Dies ermöglicht eine reliable und reproduzierbare Diagnosestellung.
- Achse I (Klinische Diagnosen): Umfasst standardisierte Palpation der Kaumuskeln (Masseter, Temporalis) und der Kiefergelenke auf Druckschmerz, Messung der schmerzfreien und maximalen Mundöffnung sowie der Seitwärts- und Vorwärtsbewegungen (inkl. Beurteilung von Bewegungsmustern wie Deviation/Deflexion), Erfassung und Klassifikation von Kiefergelenkgeräuschen.
- Achse II (Psychosoziale Faktoren): Erfassung von Schmerzintensität, schmerzbezogenen Beeinträchtigungen und psychischem Stress mittels validierter Fragebögen (kann Hinweise auf Chronifizierung oder notwendige psychologische Mitbehandlung geben).
- Bildgebung: Ist für die Routinediagnostik der häufigsten CMD-Formen (Myalgie, Arthralgie, einfache Diskusverlagerung) nicht primär erforderlich! Sie ist nur bei spezifischem Verdacht indiziert:
- MRT: Zur Darstellung der Weichgewebe, v.a. zur Beurteilung der Lage und Morphologie des Diskus articularis bei V.a. Diskusverlagerung ohne Reposition oder Gelenkentzündung.
- DVT/CBCT oder OPG: Zur Beurteilung knöcherner Veränderungen bei V.a. Arthrose, Arthritis, Fraktur oder Tumor im Gelenkbereich.
- Ziel: Anhand der Befunde aus Anamnese und DC/TMD-Untersuchung eine oder mehrere spezifische Diagnosen zu stellen (z.B. Myofaszialer Schmerz mit Ausstrahlung, Diskusverlagerung mit Reposition, Arthralgie).
B. Management von Bruxismus (Zähneknirschen/-pressen)
Kernaussagen:
- Definition: Unbewusste, repetitive Aktivität der Kaumuskulatur (Knirschen, Pressen, Anspannen), die am Tag (Wachbruxismus) oder in der Nacht (Schlafbruxismus) auftreten kann. Ist nicht per se pathologisch, kann aber zu Zahnhartsubstanzverlust, Muskel-/Gelenkschmerzen oder Kopfschmerzen führen.
- Diagnostik: Basiert auf Anamnese (Selbst-/Fremdbericht, morgendliche Kieferschmerzen/-steifigkeit) und klinischen Zeichen (deutliche Abrasionen an den Zähnen, Schlifffacetten, Läsionen an Zunge/Wange durch Pressen, Hypertrophie/Druckschmerz des M. masseter). Eine Polysomnographie (Schlaflabor) ist für die Diagnose meist nicht nötig.
- Management:
- Aufklärung & Selbstbeobachtung (v.a. Wachbruxismus): Patienten über die Parafunktion aufklären und für Risikosituationen (Stress, Konzentration) sensibilisieren. Übungen zur Entspannung der Muskulatur, Erinnerungshilfen (z.B. Punkt auf Handrücken).
- Okklusionsschienen (v.a. Schlafbruxismus): Dienen primär dem Schutz der Zahnhartsubstanz vor weiterer Abrasion. Können oft auch muskuläre Aktivität und Schmerzen reduzieren. Am häufigsten werden adjustierte Stabilisierungsschienen (siehe unten) eingesetzt. Sie heilen den Bruxismus nicht, managen aber die Folgen.
- Stressmanagement: Da Stress oft ein Trigger ist, können Entspannungstechniken (PMR, Autogenes Training), Achtsamkeitsübungen oder ggf. psychologische Unterstützung hilfreich sein.
- Medikamente/Botulinumtoxin: Nur in sehr schweren, therapierefraktären Fällen durch erfahrene Spezialisten erwogen.
C. Schienentherapie bei CMD
Kernaussagen:
- Indikationen: Häufig eingesetzt bei myofaszialen Schmerzen, Arthralgien, Diskusverlagerungen mit Reposition (Knacken), zum Schutz bei Bruxismus. Sie sind Teil eines Gesamtkonzepts!
- Wirkmechanismen: Vielfältig und nicht immer vollständig geklärt (Veränderung der Okklusion/Unterkieferposition, Entlastung der Gelenke, Reduktion der Muskelaktivität, propriozeptive Effekte, Placeboeffekt).
- Wichtige Schienentypen:
- Stabilisierungsschiene (z.B. Michiganschiene): Am häufigsten verwendet. Harte Acrylschiene, die alle Zähne eines Kiefers (meist OK) bedeckt. Sie wird so adjustiert (eingeschliffen), dass alle Zähne des Gegenkiefers gleichmäßige Kontakte in zentrischer Kondylenposition haben und eine störungsfreie Eckzahn- oder Frontzahnführung bei Seitwärts-/Vorschubbewegungen besteht. Ziel: Muskelentspannung, Gelenkentlastung, Schutz vor Bruxismusfolgen. Die sorgfältige Adjustierung ist entscheidend!
- Repositionsschiene (z.B. Anterior Repositioning Splint): Zielt darauf ab, den Unterkiefer in eine Position zu führen, in der der verlagerte Diskus wieder korrekt auf dem Kondylus liegt (Knacken verschwindet). Indikation selten, Anwendung sollte Spezialisten vorbehalten sein, da Gefahr der permanenten Bissänderung besteht. Meist nur temporär eingesetzt.
- Weiche Schienen (Tiefziehschienen): Aus weichem Material. Eher als Schutz (z.B. Sportschutz) oder Medikamententräger geeignet. Für die Behandlung von Bruxismus/CMD werden sie von Leitlinien nicht empfohlen, da sie das Knirschen sogar verstärken können („Kau-Spielzeug“).
- Therapieablauf: Nach Eingliederung der Schiene (v.a. adjustierte Schienen) sind regelmäßige Kontrolltermine zur Überprüfung und Nachadjustierung der Okklusion auf der Schiene unerlässlich für den Therapieerfolg! Die Tragedauer (nur nachts, auch tagsüber?) wird individuell festgelegt. Schienentherapie sollte idealerweise von anderen Maßnahmen (Physiotherapie, Eigenübungen) begleitet werden.
- Reversibilität: Schienentherapie ist in der Regel eine reversible Maßnahme. Sie sollte nicht zu dauerhaften, irreversiblen Bissveränderungen führen (Ausnahme: spezielle therapeutische Ziele in Absprache mit Patient).
Fazit zu Artikel 7 (Leitlinien CMD & Bruxismus)
Die Diagnostik von CMD sollte strukturiert erfolgen, idealerweise nach den DC/TMD-Kriterien. Bildgebung ist nur bei spezifischem Verdacht nötig. Bruxismus ist eine häufige Komorbidität. Die Therapie von CMD ist primär konservativ und reversibel und umfasst neben der Aufklärung oft Schienentherapie (wobei adjustierte Stabilisierungsschienen bevorzugt werden) und Physiotherapie/Eigenübungen. Eine multidisziplinäre Zusammenarbeit kann sinnvoll sein.
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