Herausforderung & Relevanz: Die klinischen Symptome verschiedener Entzündungszustände der Pulpa und des periapikalen Gewebes können sich überlappen. Eine genaue Diagnose ist jedoch entscheidend für die Wahl der richtigen Therapie (z.B. Erhaltung der Vitalität vs. Wurzelkanalbehandlung vs. Extraktion) und beeinflusst direkt die Prognose des Zahnes.
Häufige Differenzialdiagnosen: Reversible Pulpitis, Irreversible Pulpitis (symptomatisch/asymptomatisch), Pulpanekrose, Apikale Parodontitis (symptomatisch/asymptomatisch), Akuter apikaler Abszess, Chronischer apikaler Abszess (oft mit Fistel), Phoenix-Abszess (akute Exazerbation einer chronischen apikalen Parodontitis).
Systematischer Vergleich:
Merkmal | Reversible Pulpitis | Irreversible Pulpitis (symptomatisch) | Pulpanekrose (asymptomatisch) | Apikale Parodontitis (symptomatisch) | Akuter apikaler Abszess |
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Anamnese/ Symptome | Schmerz nur auf Reiz (typisch: kalt, süß), hell, ziehend, Dauer kurz (Sekunden), klingt nach Reizentfernung sofort ab. Kein Spontanschmerz, keine nächtliche Verschlimmerung. | Spontaner Schmerz (oft anfallsartig), stark, pochend, bohrend. Reaktion auf Reize (v.a. warm) oft verlängert anhaltend (Minuten bis Stunden). Kälte kann initial lindern. Schmerz kann ausstrahlen, nachts oft schlimmer. Schwierig zu lokalisieren in frühen Phasen. | Meist keine Symptome. Zahn kann sich „anders“ anfühlen. Evtl. Verfärbung der Zahnkrone (gräulich). Manchmal Zufallsbefund im Röntgen oder bei späterer Exazerbation. | Dumpfer, drückender Schmerz, gut lokalisierbar. Aufbiss- und Berührungsempfindlichkeit („Zahn fühlt sich zu hoch an“). Kann als Folge einer unbemerkten Nekrose oder nach Trauma auftreten. | Starke, oft pochende Schmerzen, gut lokalisierbar. Starke Aufbiss- und Perkussionsempfindlichkeit (+++). Gefühl des „zu langen Zahnes“. Oft begleitet von Schwellung (vestibulär/palatinal/lingual), Rötung. Zahn kann gelockert sein. Evtl. systemische Zeichen (Fieber, Malaise, Lymphadenopathie). |
Klinischer Befund | Oft tiefe Karies, undichte Füllung/Restauration oder freiliegender Zahnhals sichtbar. Vitalitätstest (Kälte): Positiv (+), Reaktion evtl. überschießend, aber kurz. Perkussion/Palpation apikal: Negativ (-). | Siehe Reversibel. Vitalitätstest (Kälte): Positiv (++), aber Schmerz hält nach Reizentfernung lange an (charakteristisch!). In späteren Phasen evtl. keine Reaktion auf Kälte mehr, aber starke Reaktion auf Wärme. Perkussion/Palpation: Meist noch negativ (-) oder nur leicht positiv (+/-). | Zahn kann dunkel verfärbt sein. Oft tiefe Karies, große Füllung oder Krone. Vitalitätstest (Kälte/elektrisch): Negativ (-)! Perkussion/Palpation: Negativ (-) (wenn keine apikale P. vorliegt) oder positiv (+), je nach Zustand des Periapex. | Zahn oft wie bei Nekrose. Vitalitätstest: Negativ (-)! Perkussion: Positiv (++). Palpation apikal: Positiv (+). Keine oder nur minimale Schwellung. | Zahn oft wie bei Nekrose. Vitalitätstest: Negativ (-)! Perkussion: Extrem Positiv (+++)! Palpation apikal: Positiv (++), oft mit palpabler, ggf. fluktuierender Schwellung. Zahn kann gelockert sein. Mukosa über Schwellung oft gerötet, gespannt. |
Diagnostische Tests | Kältetest (Reaktionsdauer!) ist entscheidend. Röntgen (Kariesausdehnung, Pulpanähe?). Entfernung der Reizursache (Exkavation, Füllung). | Kältetest/Wärmetest (Reaktionsdauer!) entscheidend. Spontanschmerzanamnese wichtig. Röntgen (Pulpanähe, apikale Situation?). | Vitalitätstest (Kälte/elektrisch) ist entscheidend (negativ!). Röntgen (apikale Aufhellung? Erweiterter PDL?). | Kombination aus Vitalitätstest (-) und Perkussion/Palpation (+) ist entscheidend. Röntgen (apikale Aufhellung? Erweiterter PDL?). | Kombination aus Vitalitätstest (-), extremer Perkussionsempfindlichkeit und klinischer Schwellung ist entscheidend. Röntgen (apikale Aufhellung oft schon sichtbar, aber nicht zwingend). |
Therapiekonsequenz (typisch) | Vitalerhaltung! (z.B. Kariesexkavation + Füllung, ggf. indirekte Überkappung). | Pulpa nicht erhaltungsfähig -> Vitalexstirpation + Wurzelkanalbehandlung oder Extraktion. | Wurzelkanalbehandlung (bei erhaltungswürdigem Zahn) oder Extraktion. | Wurzelkanalbehandlung oder Extraktion. | Notfall! Trepanation zur Entlastung (Drainage), Wurzelkanalbehandlung (ggf. später) oder Extraktion. Ggf. Inzision bei fluktuierender Schwellung. Antibiotika nur bei systemischer Beteiligung/Risikopatienten. |
Wichtige Hinweise & Fallstricke:
- Vitalitätstests sind nicht unfehlbar! Ergebnisse können beeinflusst werden durch: sehr tiefe Füllungen/Kronen, obliterierte Wurzelkanäle, kürzliches Trauma, junge Zähne mit weitem Foramen apicale, Schmerzmitteleinnahme, subjektive Angst des Patienten. Testen Sie immer Vergleichszähne (idealerweise Nachbarzahn und kontralateraler Zahn) und interpretieren Sie das Ergebnis im Gesamtkontext!
- Der Übergang von reversibler zu irreversibler Pulpitis ist fließend. Das entscheidende Kriterium ist oft die Dauer des Schmerzes nach Reizentfernung und das Auftreten von Spontanschmerzen.
- Ein Zahn kann nekrotisch sein, ohne dass im Röntgenbild bereits eine apikale Aufhellung sichtbar ist (die Knochenresorption braucht Zeit).
- Die symptomatische apikale Parodontitis beschreibt die Entzündung des Knochens an der Wurzelspitze eines nekrotischen Zahnes, die sich durch Aufbiss-/Perkussionsschmerz äußert.
- Der akute apikale Abszess ist die Eiteransammlung im periapikalen Bereich, die zu starken Schmerzen und Schwellung führt.
- Ein chronischer apikaler Abszess ist meist asymptomatisch und drainiert sich über einen Fistelgang (kleine Öffnung an der Gingiva/Mukosa).
- Ein Phoenix-Abszess ist die akute, schmerzhafte Exazerbation (Wiederaufflammen) einer vorbestehenden, chronischen, asymptomatischen apikalen Parodontitis (im Röntgenbild ist bereits eine Aufhellung sichtbar, dann treten plötzlich akute Abszesssymptome auf).
Mögliche Bildquellen: Periapikale Röntgenbilder (Darstellung von Kariesnähe zur Pulpa, erweiterter Parodontalspalt, periapikale Aufhellung unterschiedlicher Größe), klinische Fotos (verfärbter Zahn, vestibuläre Schwellung, Fistelöffnung), schematische Darstellungen der Pulpa- und Periapex-Pathologie, Diagramme zur Schmerzcharakteristik bei verschiedenen Pulpitisformen.
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